Digitale Strategie, Marketing & Web · · Zielgruppe: Metaverse-Interessierte
Metaverse? Let's talk! - Interview mit Simon Graff
This article is also availabel in English
Das ganze Interview gibt’s hier übrigens auch als ungekürzte Audio-Aufzeichnung oder Video-Aufzeichnung, ansonsten klassisch in Textform und etwas eingekürzt weiter unten. Viel Spaß!
matthias
Hallo Simon und schön, dass Du die Zeit gefunden hast, mit uns über das Metaverse zu sprechen. Stell Dich doch vielleicht einmal kurz vor.
simon
Mein Name ist Simon Graff, ich bin Gründer und Geschäftsführer der strategischen Metaverse-Beratungsagentur FOR REAL ?!. Wir erklären Menschen und Unternehmen, wie sie Metaverse Technologien nutzen können, um sich im Metaverse strategisch aufzustellen, Anknüpfungspunkte zu schaffen, Produkte und Services zu transformieren. Außerdem bin ich Vorsitzender des gemeinnützigen Verbandes nextReality Hamburg, der über die Potenziale von immersiven Medien und Technologien aufklärt. Ich mache gerne viele Dinge, die mit dem „Metaverse” und den zugrundeliegenden Technologien zu tun haben.
matthias
Vielleicht können wir zu Anfang nochmal die Idee dahinter erklären. Was ist das Metaverse? Wie ist der Begriff entstanden?
simon
Ganz simpel: das Wort Metaverse kommt aus dem Roman „Snow Crash“ von 1992, und beschreibt im weiteren Sinne eine dreidimensionale, virtuelle, persistente Welt, in der Menschen leben, arbeiten und so weiter. Der Roman beschreibt das durchaus als dystopische Flucht-Welt vor der nicht ganz so schönen Realität. Aktuell beschreibt das Metaverse eher eine Vision, die natürlich von keinem der Akteure so negativ dargestellt wird.
Für mich ist das Metaverse, das es in der Form natürlich noch nicht gibt, einfach die nächste Generation des Internets: Ein dreidimensionaler Web-Layer, den wir über unterschiedliche Devices adressieren können. Ob jetzt mit Virtual Reality Brillen, in Zukunft Mixed Reality Devices oder natürlich auch über klassische Bildschirme wie Notebooks, Desktop-Computer, Smartphones und Tablets. Punkt, aus, fertig.
matthias
Ich halte das Thema im Moment für ein bisschen gehyped, was aus meiner Sicht nicht bedeutet, dass es nicht zukunftsrelevant ist - ganz im Gegenteil. Vielleicht kannst Du dazu sagen, wie Du das erlebst.
simon
Grundsätzlich kann ich Dir nur zustimmen, dass es natürlich regelmäßig Hype-Themen gibt, wie damals Virtual Reality. Jeder wollte irgendwas mit virtueller Realität machen. Wie substanziell das Ganze war, sei mal dahingestellt. Das Gleiche gab’s auch noch mal mit Blockchain und jetzt mit NFTs.
Das typische Ding: Interesse, Mega-Hype, überhöhte Erwartungen, Absturz, Konsolidierung des Marktes. Das werden wir hier natürlich auch erleben. Aktuell beschreibt das Metaverse eher eine Vision.
Wir haben natürlich Schlüsseltechnologien und Trends, die dem zugrunde liegen: Interaktionen im dreidimensionalen Raum, Austausch mit Menschen über Voice und getippte Chats, eigene Ökonomien, Content-Creation. Das gibt einen ganz guten Einblick in das, was uns erwarten könnte, sollten Metaverse-Plattformen mainstream werden. Aber ich bin ganz bei Dir: Das gibt es aktuell so noch nicht. Allerdings muss man natürlich auch sagen, dass es aktuell nicht schadet, sich schon mal damit zu befassen und eine, sagen wir, Spatial Strategy zu entwickeln. Sich schon mal zu fragen: Wie interagieren und positionieren wir uns designtechnisch, produkt- und servicetechnisch, aber auch contentseitig langfristig dort. Weil diese Plattformen werden nicht verschwinden.
Primär geht es um perspektivisches Handeln.
matthias
Spannend, dass Du Spatial Strategy ansprichst. In dem Blogartikel, den ich gerade schreibe, habe ich das 3D-Daten-Strategie genannt. Abseits des reinen Metaverse Gedanken gibts es ja jetzt schon sehr reale Verwendungsmöglichkeiten von 3D-Content an verschiedenen Touch Points. AR und VR sind die prominentesten, aber es gibt auch noch eine ganze Menge anderer Sachen, die man machen kann. Ich halte es für sehr wichtig, eine gute Pipeline für die eigenen 3D-Daten zu haben.
In fünf bis sieben Jahren: ein Metaverse oder viele verschiedene? Was meinst du?
simon
Viele verschiedene! Einfach weil zu viele unterschiedliche Stakeholder mit jeweils eigener Agenda unterwegs sind. Wenn wir nur in der westlichen Welt gucken sehen wir schon große Akteure wie Microsoft, Meta natürlich, Snapchat‚ Niantic mit dem Real-World Metaverse. Und damit inkludieren wir ja noch nicht mal was in Ostasien, speziell China, passiert: Ali Baba Tencent, Baiu, die auch alle eigene"Metaverse" Lösungen haben. Es gibt so viele unterschiedliche Ansätze, dass es volkommen klar ist, dass das ein fragmentierter Markt bleiben wird.
matthias
Ich bin ja AR Enthusiast, glaube aber trotzdem, dass das Metaverse in fünf bis sieben Jahren überwiegend VR basiert sein wird. Was nicht bedeutet, dass wir in verschiedenen Anwendungen nicht auch zunehmend AR Overlays bekommen werden, aber ich gehe von VR aus. Was meinst du dazu?
simon
Diese Trennung zwischen VR und AR macht natürlich zum jetzigen Zeitpunkt maximal Sinn, aber ich glaube, dass das zur Zeit einer der größten Trugschlüsse ist. Wir reden im Kern über spatial Computing und ob das am Ende VR oder AR ist, wird vermutlich eher über den Usecase definiert, als über eine harte Trennung der Technologien.
Beispiel: Ich suche mir eine neue Jogging Strecke. Die wird mir mit AR in meinen Smart Glasses angezeigt, ist perfekt auf meine Laufgewohnheiten abgestimmt, ich verlaufe mich nicht. Dann komme ich nach Hause, gehe duschen, und habe Lust, irgendwas zu zocken. Ich kann mir dann das gleiche Device aufsetzen und eine VR Anwendung starten. Das ist technologisch möglich und das beginnt jetzt bereits mit der Meta Quest 2.
matthias
Wenn man sich so eine User- oder Consumer-Adoption-Kurve, das ist ja immer eine Gauß-Kurve, anschaut, wo glaubst du, stehen wir, was AR- und VR Headsets angeht?
simon
Ich glaube, wir sind noch nicht an dem Punkt eines Lifestyle Produktes, das auf einer Coolness-Ebene ein haben-wollen-Gefühl weckt. Über Usecases muss man aber, glaube ich, gar nicht mehr so viel reden.
Die Meta Quest zwei verkauft sich jetzt schon nicht verkehrt, da gibt es eine Userbase. Die Leute nutzen das, wie auch Smartphones, für ganz unterschiedliche Dinge: Content-Creation, Malen, Sport, Kommunikation natürlich, Videospiele, Erwachsenenunterhaltung, whatever.
Was ich nicht glaube, ist, dass der Preis aktuell ein Problem ist. Auch wenn ich oft höre: „Das ist immer noch zu teuer”. Also, come on! Eine Quest 2 kostet 350 €. Wir sind bei dem Preis einer Nintendo Switch für ein Device, das dich ins „Metaverse“ bringt.
Ich glaube tatsächlich ein großer Punkt für die Adaption ist nach wie vor, dass wir über ein Medium reden, das sehr abstrakt ist, wenn man es noch nicht erlebt hat. Es gibt wenig Diskussionsbedarf, wenn die Menschen schon mal drin waren. Und ja, die Devices müssen leichter werden, die Auflösung muss auch immer noch ein bisschen besser werden, aber es gibt jetzt schon sehr, sehr viel zu erleben.
matthias
Was sagst du zu Pauschal-Kritikern und Aussagen, wie: „ist das nicht im Prinzip ein zweites Second Life?” und: „Das hat sich nicht durchgesetzt, wer braucht das…”?
simon
Fangen wir mal bei Second Life an: Da ist aktuell immer noch eine größere monthly active Userbase, als bei allen gehypten dezentralisierten Metaverse-Plattformen. Also soviel dazu. Ein riesiger, riesiger Unterschied ist, dass die Welt, in der wir heute computertechnisch unterwegs sind, radikal anders ist. Damals musste man einen grauen Kasten anwerfen, um sich einzuloggen, im schlimmsten Fall noch mit einem Modem, nur um dann mit einer ruckeligen sonst-was-Grafik durch die Welt zu laufen.
Was ich sagen will ist, dass wir heute natürlich in einer ganz anderen Welt leben: permanente Konnektivität und ganz andere Nutzungsgewohnheiten. Virtualität ist längst ein Standard, wir sind always-on. Dazu kommt ease of use: Ich kann mit meinem Telefon alles Mögliche zocken, ich kann Roblox spielen, ich kann mit Freunden connecten. Das erhöht die potenzielle Nutzungs-Basis für diese Plattformen, die gerade entstehen - und das sieht man eindrucksvoll.
Deswegen hinkt der Vergleich ein bisschen. Das eigentlich spannende ist: Was interessiert Menschen wirklich? Viele dieser Thematiken wiederholen sich jetzt natürlich, aber viel spannender ist, warum sich das wiederholt. Warum gibt es Wertschöpfungsketten? Warum möchten Leute Dinge kaufen? Und die Antwort ist relativ einfach: Weil all das unseren menschlichen Bedürfnissen entspringt. Ich will Dinge besitzen, ich will mich individualisieren, ich möchte mich abgrenzen. All diese Dinge kommen aus dem echten Leben, das sind menschliche Bedürfnisse, die wir virtuell nochmal anders ausleben können. Wenn wir uns das genauer anschauen, sind Instagram, Social Media und Co auch nicht so viel anders, die sind nur zweidimensional.
matthias
Die Themen Konsum und Spekulationen werden ja gerade ohnehin sehr stark diskutiert. Was NFTs angeht, bin auch ich sehr skeptisch. Vielleicht ist das auch einfach deshalb so, weil ich mich noch nicht sehr intensiv damit beschäftigt habe. Ich bin gerade in einem Alter und einer Situation, in der ich unseren Konsum grundsätzlich ein bisschen infrage stelle. Natürlich konsumiere ich auch und das auch gerne - ohne Frage. Ich meine vielmehr den Wert des Konsums für die Menschheit. Wenn ich dann die ganzen NFT-Geschichten sehe, denke ich mir: Haben wir nicht schon genug Spekulation in der Finanzwelt? Ob das so gut ist?
Und dann höre ich aber natürlich auch das, was du gerade angesprochen hast. Es gibt eben ein menschliches Bedürfnis nach Konsum und auch nach Besitz und Status, davon bin ich überzeugt. Vielleicht ist es auch besser, man gewährt das dem Menschen in einer virtuellen Welt und macht weniger davon in der realen Welt. Was denkst du darüber?
simon
Ich bin ganz bei dir. Es gibt dieses Bedürfnis und ethisch und moralisch korrekten Konsum in der Breite, in allen Lebenslagen gibt es im Kapitalismus einfach nicht. Das wird keiner von uns individuell gestemmt bekommen. Dazu braucht es systemische, strukturelle Änderungen in unserer Gesellschaft und vor allem in unserer Wirtschaft.
Gerade auch, wenn wir uns angucken wie Generation Z eben nicht mehr zwischen online und offline differenziert. Fraglich ist natürlich, welche Balance das langfristig haben wird und welche technologischen Strukturen wir nutzen. Ich habe gerade neulich in einem Report gelesen, dass aktuell Server-Strukturen, die wir fürs Internet allgemein benötigen, bereits 10% des weltweiten Energiekonsums ausmachen. Wenn man grundsätzlich auf erneuerbare Energien setzen würde, wäre das ja überhaupt nicht problematisch - Wenn!
Kritisch wird es natürlich, wenn du auf Proof of Work Blockchains unterwegs bist - das ist grotesker Müll. Jedes Mal, wenn ich irgendwen sagen höre „bald‚ wird das auf Proof of Stake umgestellt” - Ethereum beispielsweise - “und dann wird alles gut”. Da reden wir drüber, wenn es so weit ist. Das steht in keinem Verhältnis, das kann man schlecht beschönigen.
Wenn man sich davon lösen kann und wirklich auf normale digitale Infrastrukturen umsteigt, dann glaube ich, dass es eine Chance gibt, dass man die Umwelt nicht mehr so stark durch Konsum belastet.
matthias
Ich finde faszinierend, mit welcher Gewissheit in dem Bereich herum -prognostiziert wird. Ich meine das Thema Metaverse mit allen Sub-Begriffen, die in diesem Zusammenhang rumschwirren, wie NFTs, Krypto und so weiter. Es wird gesagt: Es gab das World Wide Web und dann gab es das Web 2.0 und jetzt kommt das Web 3.0. Und ich denke mir: „Die anderen Begriffe wurden alle rückblickend geprägt und nicht schon bevor sich die Technologien etabliert hatten”.
simon
Ja total. Ich verstehe den Wunsch nach Vergleichbarkeit auch im wirtschaftlichen Kontext. Und natürlich auch das Bedürfnis von Investor:innen, zu wissen: Ist das ein Wachstumsmarkt? Was sagt Gartner, was sagt Bloomberg. Aber schon fängt es an: Die einen reden von „Trillion Dollar opportunity”, bei anderen geht es um „four hundred Billion”. Am Ende ist das einfach nur relativ dumpfe Kaffeesatzleserei, die an ein paar Parametern festgemacht wird. Manche versuchen sich das auch elaboriert mathematisch herzuleiten, aber auch das ändert nichts daran, dass es einfach sehr viele Unwägbarkeiten gibt. Ehrlicherweise nutze ich diese Daten auch, weil sie mir natürlich argumentativ Futter liefern können in bestimmten Situationen. Man sollte das aber alles mit großer Vorsicht genießen.
Aber natürlich gibt es auch Wahrscheinlichkeiten. Wenn du mit einer gewissen Expertise, sagst: Das sind die Erfahrungswerte, die wir haben, dann kann man darauf auch wetten.
We'll see.
matthias
Spannend! Ich gucke eher auf das Thema Spatial Web und Möglichkeiten von 3D Darstellung im Web, die es heute schon gibt. Gerade da sehe ich heute schon riesiges Potenzial für Firmen, Sales zu machen und Produkte in virtuellen Showrooms zu präsentieren. Dazu würde ich einfach gerne mal deine Meinung hören.
simon
Das kann ich nur voll unterschreiben. In dem Kontext gibt es dann auch real-weltliche und belastbare Parameter. Zum Beispiel, dass Conversion bei realen Produkten über z.B. Snapchat-Filter wirklich sehr viel besser funktioniert. Es gab eine Studie von Shopify, die besagt, dass 40% der Nutzer:innen Augmented Reality enhanced Webseiten, wo ich mir Produkte wie einen Peloton-Trainer in den Raum projizieren kann, um schon mal zu sehen, wie der im Raum wirkt, bevorzugen. Man darf nicht vergessen, dass wir dreidimensionale, haptische Lebewesen sind. Und, dass auf irgendwelche vierdimensionalen Quader oder Rechtecke zu gucken, um Produkte zu erschließen, nicht der Idealzustand ist.
Da steckt natürlich unfassbar viel Potenzial drin - auch jetzt schon. Wenn wir da unterwegs sind, kann man das Ganze natürlich noch in Richtung rein digitale Produkte weiterdenken. Warum sollte Ikea nicht auch Möbel im Metaverse verkaufen? Lowe’s aus den USA macht das jetzt. Die fangen also an, ihre Produkte Metaverse ready zu machen, weil das natürlich auch ein Revenue-Stream ist. Und da sind wir wieder bei dem Punkt Spatial Strategy. Wenn ich diese Assets habe, wenn ich dreidimensional denke, arbeite, dann bin ich handlungsfähig. Das wird immer relevanter werden, davon bin ich überzeugt.
matthias
Besonders im Industrie und B2B Kontext bestehen aktuell aber noch sehr große Vorbehalte. Was meinst du, wie kann man Firmen die Angst nehmen, die ersten Schritte zu gehen?
simon
Natürlich haben Unternehmen bestimmte Strukturen, Guidelines und Compliance Regeln aber oft geht es auch um einen Dialog auf zwischenmenschlicher Ebene. An der Stelle erstmal Skepsis nehmen, die Themen anfassbar und erlebbar machen. Ganz egal ob Augmented Reality, Virtual Reality, Metaverse oder NFTs. Und dann ganz klar die Mehrwerte darstellen, ohne dabei die Skepsis komplett zu vernachlässigen. Es gibt natürlich berechtigte Fragen, gerade in Deutschland haben wir eben auch Themen Datensicherheit. Deutsche Konzerne werden nie mit kritischen, internen Daten auf Decentraland oder anderen US-Plattformen agieren, das geht nicht.
Es ist glaube ich sehr, sehr wichtig, Antworten auf diese Challenges, die ja sehr valide sind, zu haben. Der Schlüssel zu all dem ist transparenter Dialog auf Augenhöhe.
matthias
Das ist ein gutes Abschluss-Statement. Ich danke Dir für Deine Zeit und dieses aufschlussreiche Interview, Simon!
Hey!
Wir sind AR-Enthusiasten und haben bereits zahlreiche
Projekte für namhafte Marken umgesetzt.
Mehr über uns, unsere Arbeit und einige coole Projekte
findest du unter Augmented Reality Services.